Sagen / Geschichten

Einige Beispiele aus den Schriften "Neuerburger Sagen und Geschichten" (1966) "Sagen der Heimat" (1957) und aus dem Buch "Die Sage raunt in alten Mauern" (Herausgeber: Willi Hermes).

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Nachfolgend eine Liste aller Geschichten, Erzählungen und Berichte in dieser Rubrik.

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Die Marktfrau

Auf dem Wochenmarkt in Neuerburg herrschte ein lebhaftes Gedränge. Zwischen den Ständen wogten die Käufermassen hin und her. Unter den Marktbesuchern befand sich auch Velten, der als arger Langfinger bekannt war.

Der Burg- oder Hüttensonntag

Ein uraltes Brauchtum in der Eifel

Der Festtagskalender der Kinder in der Westeifel enthält ein Hochfest, das zwar ausschließlich von den Kindern selbst gestaltet wird, das aber auch die Erwachsenen nicht minder in seinen Bann zieht.

Neuerburg begann bei Null

Ein zweiter Bericht vom Kriegsende 1945

Ende Februar kam die Front immer näher. Die im Räume Neuer-burg-Ammeldingen liegenden Restteile einer deutschen Division bildeten nur noch einen vorgeschobenen Stützpunkt, der an seinen Flanken längst von amerikanischen Truppen überholt war. Die einzig noch offene Rückzugsstraße aus diesem Raum von Neuerburg über Scheuern nach Osten lag Tag und Nacht unter schwerem Artilleriebeschuß und unter dem Angriff der amerikanischen Luftwaffe. Die ununterbrochen über dem Talkessel kreisenden Jabos nahmen alles, was sich nur regte und bewegte, unter Bordwaffenbeschuß. Glücklicherweise waren die Verluste unter den sich zurückziehenden Einheiten nur gering. Um so größer aber waren die Zerstörungen an den noch stehenden Gebäuden, besonders in der Ortsmitte. Unter anderem erhielt auch die Pfarrkirche dabei mehrere Granattreffer. Die Mariensäule auf dem Marktplatz, die bis dahin verschont geblieben war, wurde in der letzten Nacht vor dem Einmarsch restlos zerstört.

Mit dem Beschuß der Panzersperren, die zurückgebliebene Männer am Sportplatz, am Kreuzberg und oberhalb der Burg, hatten errichten müssen, wurde die Endphase des Kampfes eingeleitet. Die amerikanische Infanterie, die am Abend bis auf die Höhen südwestlich der Stadt (Auf dem Heer) vorgerückt war, nahm diese Punkte unter direkten Beschuß. Die letzten deutschen Einheiten rückten daraufhin im Schutze der Nacht ab, nicht, ohne alle kleinen und großen Brücken hinter sich in die Luft gesprengt zu haben. Nur eine Brücke, die an der Mühle, konnte durch das entschlossene Eingreifen eines Polizeibeamten von der Sprengung verschont bleiben. Die Sprengungen erfolgten in der Nacht gegen 3 Uhr ohne vorherige Warnung der Zivilbevölkerung.

Der anbrechende Morgen des 24. Februar fand Neuerburg leer von Soldaten. In und über der Stadt herrschte Totenstille. Ob dieses ungewohnten Zustandes wagten sich einige beherzte Männer aus den Kellern heraus. Sie waren dann auch die ersten, die die in der Mittagsstunde aus Richtung Hasenhof sehr vorsichtig in Neuerburg einrückende amerikanische Infanteriespitze davon verständigten, daß sich kein deutscher Soldat mehr im Ort befand. Im Laufe des Nachmittags rückten weitere Einheiten, darunter auch die ersten Panzer, ein. Spezialtrupps schlugen in wenigen Stunden Notbrücken über den Enzbach und ermöglichten den Durchgangsverkehr. Noch am gleichen Tage wurde die Zivilbevölkerung auf dem Friedrichsplatz zusammengerufen und angewiesen, sich in ihre Häuser zu begeben und diese drei Tage lang nicht zu verlassen. Während dieser Zeit mußte die Bevölkerung dann das unvermeidliche Schicksal des Besiegten über sich ergehen lassen, wobei es glücklicherweise zu keinerlei ernsteren Zwischenfällen kam. Der amerikanische Ortskommandant hatte auf der Burg Quartier bezogen, während seine Soldaten sich in den weniger zerstörten Gebäuden an den Ortseingängen einquartiert hatten.

Am folgenden Sonntag konnte sich die Bevölkerung zum ersten Male seit langer Zeit wieder zum Gottesdienste in der Pfarrkirche versammeln. Noch am gleichen Tage setzten die Amerikaner einen Bürgermeister ein; zwei Tage später wurde auch die nicht geflüchtete Ortspolizei wieder eingesetzt. Die erste gemeinsame Arbeit galt der Wiederherstellung der Wasserleitung. Um der Seuchengefahr vorzubeugen, mußten an der Scheuernerstraße eine Reihe von Pferdekadaver vergraben werden. Überhaupt war an dieser Rückzugsstraße besonders viel aufzuräumen. Sowohl die öffentlichen als auch die privaten Aufräumungsarbeiten mußten mit primitivsten Mitteln bewerkstelligt werden. Aber die Menschen faßten neuen Mut und begannen mit großer Energie und zähem Fleiß ihre Heimatstadt wieder aufzubauen.

©  Hans Theis, Neuerburg  

Sächsische Sprachfragmente im Eifeler Dialekt

Zahlreiche Wörter in unserem heimatlichen Dialekt sind der französischen Sprache entnommen. Sie bezeichnen vornehmlich solche Dinge, die unseren Altvorderen unbekannt waren und die sie erst in der Zeit, als unsere Heimat im 18. Jahrhundert unter französischer Herrschaft (Wälderdepartment) stand, kennen lernten.

Weniger bekannt ist, daß die Eifeler Mundart Wortstämme enthält, die sich aus englischen Wörtern angelsächsischen Ursprungs ableiten lassen. Da ihr Ursprung bis in das 9. Jahrhundert zurückgeht, haben sie sich im Laufe der Jahrhunderte weitgehend angeglichen. Einige Wörter, die ihre Herkunft noch klar erkennen lassen, seien nachfolgend angeführt. Sie sind dem Dialekt entnommen, der in der Gegend um Neuerburg gesprochen wird:

Wort
englisch
mundartlich
Tier
beast (biest) biest
Übel evel (iewl) iewel
Moor fen (fenn) venn
Strumpf hos (hos) hoos
Uhr hour (aur) auer
Docht weck (uick) weck
er sagt he said (he säd) he säd
rufen call (kool) kalen
fertig ready (redi) reht


Diese Reihe würde sich noch um zahlreiche Wörter vermehren lassen. Wie aber kommen diese Wörter in unsere Mundart, da doch zu keiner Zeit unsere Heimat unter englischem Einfluß stand? Die Erklärung ist gar nicht so schwer wie sie erscheinen mag. Genau so, wie durch die Invasion der Angelsachsen aus Germanien, die keltischen Ureinwohner Englands zu einem großen Teil die Sprache der Sachsen annahmen, so sind auch diese Wortstämme in unserem Dialekt sächsischen Ursprungs und datieren aus einer Zeit, da unsere Vorfahren mit den Sachsen in Berührung kam.

Als Karl der Große das Reich der Sachsen vergrößern und befestigen wollte, setzten die Sachsen seinen Eroberungs- und Bekehrungsversuchen den heftigsten Widerstand entgegen. Im Verlaufe der kriegerischen Ereignisse gegen Ende des 8. Jahrhunderts ließ Karl viele Tausende sächsische Familien aus ihrer Heimat wegführen und in andere deutsche Landschaften verpflanzen, während ihre Wohnsitze fränkischen Ansiedlern gegeben wurden. Bei dieser Umsiedlungsaktion sollen etwa 10 000 sächsische Familien in die Eifel verschickt worden sein. Hier vermischten sie sich bald mit der Bevölkerung, die ihrerseits verschiedene Wörter aus der Sprache der Flüchtlinge in ihren Sprachschatz aufnahmen.

Es mag für die Umsiedler nicht leicht gewesen sein, sich unter fremden Menschen und in der herben Natur des Gebirgslandes eine neue Heimat zu gründen. Aber die Zeit heilt alle Wunden. So ist diese bittere Tatsache längst vergessen und nur einige Sprachsplitter erinnern noch an eine schicksalsschwere Zeit.

©  Hans Theis, Neuerburg  

Sachsen In der Gegend von Neuerburg

Eine kleine Betrachtung zur Siedlungsgeschichte unserer Heimat

Dreißig Jahre lang führt Karl der Große einen erbitterten Kampf gegen die Sachsen, die sich weder seiner Herrschaft noch der Botschaft des Christentums beugen wollten. Um den Trotz dieses Volkes zu brechen, tat er etwas, was moderne Diktatoren in perfekter Form zu handhaben verstehen, er siedelte die Menschen um. Im großen fränkischen Reich gab es noch genügend Gebiete, die der Rodung harrten. Zu diesen Gebieten gehörte auch der "Ösling" oder "Isleck", das Gebiet um Neuerburg. Diesen von einem verfilzten Urwald bedeckten und landwirtschaftlich unergiebigen Raum hatten fränkische Siedler bis dahin nur wenig in Anspruch genommen. Das beweisen uns schon die Ortsnamen, denn die ältesten fränkischen Siedlungen tragen die Endungen auf -heim, -dorf, und -ingen. Sie sind fast ausschließlich im Gutland des Bitburger Raumes zu finden. Im Isleck häufen sich dagegen die Namen auf -hausen.

Nach Auskunft der Ortsnamensforscher sind diese Orte vornehmlich im 8. Jahrhundert entstanden, zur Zeit also, da der Frankenkaiser die Umsiedlung der Sachsen betrieb. Als spezielle Sachsensiedlungen werden die Namen auf -er angesehen. Zu diesen rechnen im Gebiet um Neuerburg die Orte Bauler, Affler, Nieder- und Obergeckler. Sogar ein Dorf "Saxenhausen" bestand nördlich von Emmelbaum bis zum Dreißigjährigen Kriege; heute ist dort nur mehr ein einzelnes Gehöft gleichen Namens zu finden. Auch der Name "Ösling" könnte auf eine sächsische Besiedlung hinweisen, denn im Mittelalter noch wird ein Gebirgszug im alten Sachsenland mit "Osning" bezeichnet.

Die sächsischen Neusiedler werden vermutlich innerhalb weniger Generationen ihre eigene Sprache verloren und sich des vorherrschenden Moselfränkischen bedient haben. Es sollte jedoch wundern, wenn nicht einzelne Sprachreste erhalten geblieben sind. So finden wir in der Gegend nördlich von Neuerburg das Wort "reed" für "fertig", ein Ausdruck, der im Moselfränkischen unbekannt ist. Er kann jedoch unschwer mit dem englischen (angelsächsischen) "ready", das die gleiche Bedeutung hat, in Verbindung gebracht werden. Das gleiche gilt für den hier gebräuchlichen Mundartausdruck "kalen", der für "sprechen" steht und im Englischen als "call" in Erscheinung tritt. Weitere Übereinstimmungen zwischen dem Sachsenland und unserem Gebiet der Eifel können in Formen des Brauchtums gefunden werden. Das heute noch in der Westeifel sehr gebräuchliche Eierkippen (Schlagen der Eierspitzen gegeneinander) und das Schattern (Rollen der Eier durch eine Rinne aus Baumrinde) zur Osterzeit sind hier wie dort bekannt.

©  Hans Theis, Neuerburg 

Das bärtige Christkind

Eine Weihnachtserzählung aus der Westeifel:


Die ersten Dezembertage des Jahres 1946 hatten strengen Frost gebracht. Ein kalter, klarer Himmel wölbte sich wochenlang über der Landschaft. Erst kurz vor Weihnachten zogen lichte Wolken auf, und Schnee kündigte sich an. Mit Sorge hielt Frau Hildegard M. nach dem Wetter Ausschau. Mit ihren drei Kindern, dem zwölfjährigen Peter, der zehnjährigen Christa und dem Nesthäkchen Marianne, bewohnte sie das mehrere Kilometer vom Dorf entfernte alte Forsthaus an einer wenig befahrenen Straße. Trat Schneefall ein, so konnten sie leicht vom Verkehr abgeschnitten werden. Ihr Mann, der Forstwart Martin M., war seit Jahren Soldat, und bisher hatten sie, obgleich die Kampfhandlungen längst abgeschlossen waren, noch kein Lebenszeichen von ihm gehört. Die letzte Nachricht war vor Jahresfrist aus dem Osten Deutschlands gekommen. Zu allem Überfluß überfiel Frau Hildegard kurz vor Weihnachten eine schwere Erkältung, so daß sie tagelang das Bett hüten mußte.


Baertiges Christkind bingimNach dem bescheidenen Mittagsmahl am Vortage des Weihnachtsfestes schickte die Mutter die beiden älteren Kinder hinunter ins Dorf. Was ihnen die Lebensmittelkarten gestatteten, sollten sie im Geschäft einkaufen, vor allem aber den Weihnachtskuchen mitbringen, den der befreundete Bäckermeister ihnen zum Fest zusätzlich bescheren wollte. In Erwartung dieser guten Dinge eilten die Kinder frohen Herzens dem Dorfe zu. Die Lehrersfrau traf sie auf der Straße und lud sie zum Kaffee ein. Bei den gleichaltrigen Kindern des Bäckermeisters hielten sie sich ebenfalls noch eine Stunde auf. Nun drängte die Zeit, denn der trübe Wintertag verwandelte sich schnell in die graue Dämmerung des Abends.


Mit den Paketen beladen strebten die Kinder dem unweit entfernten Wald zu, um über einen kürzeren Waldweg das heimatliche Haus zu erreichen. Sie hatten kaum das Dorf verlassen, als die ersten Flocken fielen. Aus dem Flockenfall wurde ein dichtes Schneetreiben, da sie den Wald erreicht hatten. Die Nacht war vollends hereingebrochen. Dunkel und drohend wirkten die Baumriesen, und die Schneeflocken tanzten und wirbelten wie böse Märchengestalten um sie herum. Bald bedeckte ein Schneeteppich auch den Boden des lichten Waldes, und die bekannte Umgebung verwandelte sich in ein gleichförmiges fremdes Bild.


Die Kinder hatten sich an der Hand gefaßt und hasteten bergan. Der Waldweg war im weißen Einerlei nicht mehr zu unterscheiden; die Füße schleppten sich mühsam durch Schneeverwehungen. Plötzlich blieb Peter stehen. "Ich weiß nicht mehr, wo wir sind; wir haben uns verirrt", bekannte er kläglich. Christa begann zu weinen. Er tröstete sie, so gut er konnte. Sie wandten sich nach einer anderen Seite. Jedoch, wie sehr sie auch Umschau hielten, alles kam ihnen fremd und unheimlich vor. Schließlich blieben sie stehen und begannen zu rufen. Aber der mit Schluchzen vermischte Hilfeschrei schien vom Watteschleier des Schneefalls aufgesogen zu werden.


Eine Zeitlang hockten sie unter dem dichten Geäst einer breitrandigen Buche, die dem Schneefall etwas Einhalt gebot. Eine wohlige Müdigkeit überkam die Kinder. Aber Peter wußte, daß Einschlafen den sicheren Tod bedeutete. So hasteten und irrten sie weiter zwischen den hohen, gleichförmigen Bäumen umher. Christa war schließlich den Strapazen nicht länger gewachsen. Selbst das gütliche Zureden und Zerren des Bruders half nichts mehr; sie blieb, vom Weinen geschüttelt, am bemoosten Stamm eines Baumes hocken. Peter begann erneut zu rufen, aber kein Echo antwortete ihm.


Schon hatte er alle Hoffnung aufgegeben, als aus der Ferne, noch ganz schwach und undeutlich, eine Antwort zu kommen schien. Auch Christa beteiligte sich jetzt am Hilferuf, und bald klang die Antwort näher. Das Licht einer Taschenlampe geisterte zwischen den Bäumen umher. Dann stand plötzlich eine dunkle Gestalt vor ihnen. Bei einem kurzen Abirren des Lichtes erkannten sie nur undeutlich das bärtige Gesicht eines Mannes. Ein abgetragener Militärmantel hüllte die Gestalt ein. Die Kinder wunderten sich, daß sie keine Angst verspürten. Der Mann leuchtete ihnen ins Gesicht und fragte sie nach ihrer Wohnung. Als die Kinder geantwortet hatten, glaubten sie, trotz des dichten Bartwuchses im Gesicht des Mannes ein Lächeln erkennen zu können.


Frau Hildegard hatte daheim in der Wohnung voller Sorge das Bett verlassen. Schon wollte sie trotz des Fiebers hinunter in das Dorf, als vor der Haustüre Schnee von den Schuhen abgeklopft wurde. Die Türe öffnete sich. Frau Hildegard starrte voll ungläubigen Staunens auf das Bild, das sich ihr bot. Der Fremde lächelte, ließ die Kinder los und streckte die Hände aus. Da schrie Frau Hildegard auf und fiel dem bärtigen Mann - ihrem Mann - um den Hals. Die Kinder hatten bereits unterwegs erfahren, wer ihr Lebensretter war. Nun glänzten ihre Augen heller als die Kerzen am Christbaum, den die Mutter angezündet hatte. Da sie nun vereint vor der Krippe knieten, dankten alle aus übervollem Herzen für das Geschenk des Christabends. Und die Kinder waren fest davon überzeugt, daß das Christkind sie aus ihrer Not gerettet hatte. "Ein sehr bärtiges Christkind", wie der Vater später lachend meinte.

 


©  Hans Theis, Neuerburg 

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Der Einbrecher

Pitter und Kläs verbindet seit frühester Jugend eine starke Freundschaft, die vornehmlich im Dorfgasthaus immer wieder aufgefrischt wird.

Die versunkene Glocke

Die Kirche in Mettendorf besaß einst eine große und schwere Glocke, auf deren schönen vollen Klang die Leute nicht wenig stolz waren.