Die letzte Gunst

Einst lebte in dem Dörfchen Scheuern ein Mann, der ein böses Weib hatte. Manches Jahr ertrug er ihr zänkisches Wesen und ihre schnellzüngige Art. Eines Tages jedoch riß ihm der Geduldfaden so vollständig, daß er ein Messer nahm und der Frau ein Stück der übelwollenden Zunge abschnitt.


Nun kehrte der häusliche Frieden ein, und auch der Schaden schien schnell zu verheilen. Die ungewohnte häusliche Ruhe aber bedrückte unseren Mann alsbald so sehr, daß er sich nach wenigen Tagen dem Richter in Neuerburg stellte. Obgleich der Richter dem Manne einiges Verständnis entgegenbrachte, mußte er ihn doch zum Tode durch den Strang verurteilen. Denn, wer andern an Leib oder Leben schadete, war dem Henker verfallen. Der Mann hatte das Urteil erwartet und nahm es gelassen auf.

Als der Tag der Hinrichtung kam, zogen hinter Richter, Henker und Übeltäter viele Schaulustige einher. Alle wunderten sich, daß der Mann auch auf seinem letzten Wege eine ruhige, fast heitere Miene zur Schau trug.

In der Nähe des Görgenhofes heißt noch heute ein Flurname "Am Hochgericht"; hier stand der Galgen. Als der begleitende Priester ihm an der Richtstätte noch einmal Mut zusprach, antwortete der Mann mit einem verschmitzten Lächeln, er habe wenig Angst, denn das Fegfeuer habe er schon teilweise auf Erden bestanden.

Die Ruhe verließ den Delinquenten auch nicht, als ihm der Henker auf dem Gerüst das Hanfseil um den Hals legte. Auch seine letzte Bitte rief einiges Kopfschütteln hervor. Noch einmal wolle er in aller Ruhe sein Pfeiflein rauchen, das ihm sein Eheweib so oft mißgönnt hatte. Der Richter nickte lächelnd Gewährung, und der Henker griff sogar in seine Wasche und reichte dem Verurteilten zuvorkommend eine tabakgefüllte Schweinsblase.

Doch machte das Lächeln des Richters sehr schnell einer saueren Miene Platz, als er sehen mußte, wie der Mann eine Pfeife hervorzog, deren Kopf einem kleinen Butterfaß nicht viel an Größe nachstand. Und der Henker stellte zu seinem größten Mißvergnügen fest, daß sein Tabaksbeutel zusehends die einst pralle Form einbüßte.

Gemächlich setzte der Verurteilte die Pfeife mit Hilfe von Stein und Zunder in Brand. Dann begann er, genüßlich blaue Wölkchen aus seiner Pfeife zu saugen. Dem Richter schoß die Zornröte ins Gesicht; auch der Henker fühlte sich in seiner Würde nicht minder schwer verletzt. Unter den Zuschauern aber stieg hie und da ein glucksendes Lachen auf, das schließlich den Richter vollständig vergrämte.

Er gab dem Henker heimlich einen Wink, den dieser nur allzugerne sah und auch sofort in die Tat umsetzte. Er versetzte dem ahnungslos schmauchenden Manne einen Tritt in die Verlängerung des Rückens, daß dieser vom Gerüst stürzte. Der Galgen knarrte unter dem Zug des Seiles, ein einziger Schrei stieg aus der Menge auf. Unmittelbar darauf aber war ein mächtiger Plumps zu hörent Der Strick war gerissen; der Verurteilte fand sich am Fuße des Gerüstes auf dem Rasen wieder.
 
Zuerst einmal befreite sich 'der Mann von der unangenehmen Halskrause, die ihm die Luft abzuschnüren drohte. Dann glitten seine Augen suchend über den Rasen. Dort lag sie, seine geliebte Pfeife! Noch im Sitzen griff er danach und führte sie wieder zum Munde. In der erwartungsvollen Stille, die die Zuschauer ergriffen hatte, waren deutlich die energischen Züge des Mannes zu vernehmen.

Die Tücken des erneuten umständlichen Feuerschlagens blieben ihm tatsächlich erspart. Bald umhüllte wieder ein blaues Wölkchen sein Gesicht, das sich sofort zu einem freundlichen Lächeln verzog. Ruhig, wenn auch noch etwas taumelnd erhob sich der Verurteilte. Für einen Augenblick nahm er die Pfeife aus dem Mund und sagte bedächtig, fast vorwurfsvoll:

"Beij dem Spaaß wär mir d'Peijf bal ousgaangen!"

Bleibt noch hinzuzufügen, daß das Reißen des Strickes als Gottesurteil betrachtet wurde. Der Mann konnte unbeschwert wieder nach Scheuern zurückkehren.

Jener Aussprach unter dem Galgen aber ist bis heute in der Westeifel als geflügeltes Wort erhalten geblieben. Man kann es immer wieder hören, wenn jemand einen jähen Schrecken erlitten hat.

(c) 1966 - Hans Theis, Neuerburg